Der importierte Kältetod
WINTER in den Kammerspielen

Kontaktaufnahme durch geschlechtlichen Überfall. Die Figuren in Jon Fosses Stücken besitzen selten Namen: Die Frau, der Mann. Jon Fosses Figuren verfügen über einen sehr kleinen Wortschatz: "Du" - "Ich" - "Ja" - "Nein". Es geschieht bei einer Parkbank: Er findet mit seinen Blicken nicht die Leere, die er sucht, nachdem sie ihn angesprochen hat, von der Bank aus. Sie will nur ein bisschen reden, weit zurückgelehnt lautstark Lässigkeit demonstrieren, ihre tiefe Verzweiflung kaschieren und ihn umkreisen. Kaum Minuten später sagt sie "Ich bin deine Frau." Und jemands Frau zu sein, könnte bedeuten, dass jemand mit seiner Frau machen kann, was er will. Darauf muss er reagieren, akzeptieren, dass da niemand ist, den sie sonst noch meinen könnte mit "Ich bin deine Frau". Und es sind die Blicke, diesmal ihr hingeworfen, die sagen: Also gut, ab jetzt bin ich bereit, Konsequenzen zu tragen, Termine abzusagen und mit dir Dialog zu riskieren.
Jon Fosses Figuren können nur aneinander vorbei existieren, weil sie niemals auf derselben Stufe stehen, ihr gegenseitiges Verlangen nacheinander immer unterschiedlich groß ist. Der Mann deponiert die neue Frau in seinem Hotelzimmer, wo sie in seiner Abwesenheit zwei Anrufe seiner alten Frau Marte - sie hat einen Namen - entgegennimmt und beweist, dass sie nun da ist, dass sie nun sein Leben verändert hat.
Die Kammerspiele haben die Inszenierung von Jossi Wieler in dieser Spielzeit aus dem Schauspielhaus Zürich importiert, einerseits, weil es sich anbot: Die Frau, Sylvana Krappatsch, wird bald fest zum Ensemble gehören, der Mann, André Jung, ebenfalls, und jetzt schon ist er häufiger Gast im Haus, zum Beispiel zu ANATOMIE TITUS, DER MESSIAS und DIE ZEHN GEBOTE. Andrerseits ist die Produktion ein schwerer Knaller. Zwei tolle Schauspieler zu einer exakt arbeitenden Regie, die dem Minimalismus des Textes die tausend Facetten entlocken kann, die maximal in ihm stecken. Viel mit wenig erreichen. André Jung - der Meister des irrenden Umherschauens, der unsicheren Frauenberührung und des Versuchs, mit Hilfe des Banalgegenstands Plastiktüte jene Berührung zu vermeiden. Und Sylvana Krappatsch ist seine permanente, exakte Gegenspielerin, die ihre Hilflosigkeit des Anfangs nutzt, ihn zu zwingen, sich ihr zuzuwenden. Und dann verwandelt sie jeden Zentimeter, den er ihr schenkt, in Arroganz und Vergessen, dass da was ist, was zwei Menschen sich geben, wenn sie einander in den Armen liegen.
WINTER ist ein weiteres Stück über die Unmöglichkeit menschlichen Zusammenseins und damit eigentlich gnadenlos unzeitgemäß. Kein Funken Hoffnung blitzt aus den schmalen Zeilen. Es ist nicht so, dass die Leute in der Wirklichkeit zwischenzeitlich einen Weg gefunden haben, sich besser zu vertragen; nur spürt man generell auf der Straße - vielleicht weil's dort auch frischer geworden ist - weniger die Notwendigkeit, das Problem der Kälte auf einer Bühne auszustellen. Und wenn es - wie hier - dennoch geschieht, dann wirkt es komisch, zum Lachen komisch, weil man sich gesellschaftlich längst weiter entwickelt fühlt, weil man fühlt, dass der Mitmensch einem kein Schicksal mehr sein kann, nicht so wie bei Jon Fosses Figuren - Mann und Frau -, die aneinander erfrieren.

Willibald Spatz
12. Februar 2005

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