Dieselben alten Geschichten
„Urfaust“ auf der Werkstattbühne, Würzburg

Was ist der Urfaust? Die Materialisierung eines durchs Volk schwirrenden Stoffs in einem Theaterstück, das - noch nicht fertig - zu dem wird, was man als „Faust – der Tragödie erster Teil“ kennt. Man kennt. Man weiß nicht, wie bewusst das Regisseur Manfred Plagens war, aber er macht offensichtlich keinen Fehler in seiner Inszenierung, wobei der offensichtlichste sicher gewesen wäre, so zu tun, als erzählte man zum ersten Mal den Faust.
Nein, dieser Urfaust ist als entstehendes Stück dargestellt, indem Stefanie Tovornik und Sarah Rieger auftreten und gut dosiert, aber nicht dozierend Stellen aus dem Volksbuch „Doctor Faustus“ lesen, das Goethe als Vorlage diente und selbst eine gewisse Verdorbenheit aufweist, die schön unterstrichen wird durch einen intensiven Kuss der beiden Erzählerinne miteinander. Er habe nach den leichten Weibern, die ihm Mephisto verschafft habe, nun Lust auf eine Jungfrau. Ein böser, zynischer Faust, der genau weiß, was er will und was gut ist, nämlich was ihm gut tut. Achim Beck ist der richtige Mann dafür. Er steht im Zimmer und saugt gierig den Geruch von Gretchens Strickjacke ein, hält es in der Hand wie ein Kleinkind, fast rührend und riecht dann wieder, löst so buchstäblich Angst um Katharina Ries aus, die Margarete, die kurz darauf nicht unverführerisch im Nachthemd hereinkommt und klein am Boden den „König von Thule“ singt. Mephisto kann nur brav und etwas enttäuscht die Befehle des viel teuflischeren Faust ausführen. Brav und enttäuscht ist nur die Rolle, die ihm zugewiesen ist, Alexander Blühm spielt sie bei aller Bescheidenheit sehr eindrucksvoll.
Die Bühne wirkt zunächst wie ein ernstgemeinter Beitrag zu einem Wettbewerb mit dem ungefähren Titel „Spartanischstes Bühnenbild Deutschland“. Wenn aber in Marthes Gartenszene ein Blume auf einem einsamen Stil auf einem quietschenden Wägelchen hereinrollt und daraufhin noch einige weitere auf drei weiteren Wägelchen, bevor überhaupt ein Mensch spielen darf, wird klar, dass hier Platz freigeräumt werden soll für neue Sichtweisen auf alte Bilder.
Also ein kurzweiliger Abend, an dem man überrascht schnell feststellt, wie spannend einem eine altbekannte Geschichte wieder erzählt werden kann.

Willibald Spatz
21. Dezember 2003

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