Shakespeare in München
Titus Andronicus im Residenztheater

Wie das Stück eines Briten, das in Italien spielt, in Deutschland auf die Bühne bringen? Japanelnd? Das heißt mit Krummschwertern und lustigen, weiten Hosen? Das ist nett anzusehen im Residenztheater, und auch die blaukarge Bühne tut im Auge nicht weh. Trotzdem drängt es bei solcher Nähe zur Beliebigkeit, die Erlaubnis nach der Frage zu erbetteln, was dazu gehöre, um heute noch von einem Shakespeare zu sprechen. Der Text. Die Übersetzung desselben. Man wählt eine von Wachsmann und greift – mit Verlaub -  daneben. Man kann sich nicht über mangelhafte Schauspielerfähigkeiten an diesem Abend beklagen, aber gegen die Verstaubtheit dieser Sprache ist das ganze Ensemble mit Ausnahme Lambert Hamels als Titelheld machtlos. Sie kämpfen verzweifelt darum, den Text in ihren Mund zu bekommen, ihn zu schlucken und brav angedaut wiederzugeben, aber sie müssen unverrichtet aufgeben.
Ein Stück über einen Kriegheimkehrer, ein Held, der 21 Söhne im Kampf verloren und als Held die Größe hat den 22. einfach hinzurichten vor den Augen des neuen Kaisers. Danach ist aber Frieden und neue Regeln gelten: Es schmerzt wieder, Kinder zu verlieren. Daran zerbricht Titus Andronicus fast. Die traurige Geschichte eines alten Mannes, der sein Lebenswerk Stück für Stück -  in dem Fall seine Kinder - davon treiben sieht. Wunderbar ausgedrückt im letzten todtraurig komischen Bild vor der Pause, in dem Titus einarmig neben seiner verstümmelten Tochter sitzt und beide sich beim essen vom Bruder/Onkel Marcus helfen lassen müssen. Der einzige würdige Ausweg aus dem Leben - scheint im Subtext der Szene laut aufzuleuchten – ist ein junger Tod.
Es geht ausschließlich um Personen, bei denen der Anblick von Blut ein Programm aufruft, das nach Rache und weiterem Blut schreit. Im zweiten Teil wird dies zu einem Schneeball, bis die Handlung weitgehend von Handelnden bereinigt ist. Innerlich passiert nicht viel außer in dieser Ulknudel von schwarzem Diener der Kaiserin. Er sieht zwar nichts ein, hört aber auf Böses zu tun. Nett. Das mag inhaltlich nun wirklich nicht sehr spektakulär sein, aber auch im Residenztheater meint niemand mehr, daraus was machen zu müssen. Die Frage, ob sich denn im zweiten Teil überhaupt noch jemand dafür interessiert hat, was auf der Bühne passiert. Schade um einen Abend, der an sich vielversprechend begonnen hat.
Das Abspulen des Endes und der ungelenk altertümelnde Text erwecken den Verdacht, dass hier Theater produziert wurde, das den dem Publikum unterstellten Bedarf nach Klassikern befriedigen soll. Hoffentlich ist der falsch, aber die Warnung bleibt. Das Publikum bedarf vor allem eines: ernst genommen zu werden.

Willibald Spatz
21. November 2003

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