Die Show zur Stimme
RADIO NOIR im Werkraum der Kammerspiele

Es schaut ein Auge in die Nacht aus der Bühne. Und in der Mitte die Pupille, das ist die Radiomoderatorin Parthenope, eingezwängt in einen schaumstoffgefütterten Muttermund, Chefin aller, die, wie sie sich gegen die Müdigkeit aufbäumend, bis zum Morgen durchhalten müssen. "Ich kann euch sehen da draußen." Sie hat die Energie derer, die den Schlaf überwunden, ihn weit unter sich gelassen haben, irgendwo in der Dunkelheit. "Die Nacht ist jung. Ich warte auf eure Geschichten." Die liefert sie selbst, denn ihr Ruf "Ich spiel mit euren Wünschen. Ruft mich an!" bleibt lange unerhört, als sei sie die einzig Übriggebliebene, die letzte Stimme, die noch spricht, aber nicht mehr wahrgenommen wird. Und als sie endlich einlaufen, die ersten Opfer in ihr Telefonnetz, lässt sie sie nicht mehr los, saugt sie aus, als hinge daran ihr Leben und nicht das, das sie da auf die Straße legt in die Erwartung des nächsten Lastwagens. - "Lass es Coca Cola sein." - Nachdem der Fahrer die angesprochene Person verschont hat, muss die ins nächste Auto steigen, mitgenommen werden und sich von der Radiofrau empfehlen lassen, dass "du dir den Arsch nur aufzureißen hast, dann bringst du es zu was." Der Nächste in der Leitung ist ein Einsamer und wird in einer öffentlichen Stöhnnummer zur Befriedigung gebracht - die Stimme im Radio, die Frau vom Auge ist längst dem Wahn verfallen, am exponiertesten Ort der Stadt zu sein. "Das hier ist Radio Love."
Caroline Ebner spielt diese Manische, die sich jedes Blicks und jedes Ohrs bewusst ist, die auf sie gerichtet sind, inszeniert sich als eine Show zur Stimme in diesem kleinen Rohr, trampelt hysterisch auf in der Wand eingelassene Scheiben, die Soundfetzen ausspucken dafür. Sie wird schließlich Opfer ihrer eigenen Angst, sich ins Alleinsein geredet zu haben, beginnt die sie mütterlich bergende Enge zu fürchten und leitet eine Frühgeburt ein vor dem erlösenden Ende der Nacht.
Diese Umsetzung von Albert Ostermeiers Stück durch Monika Gintersdorfer kommt aus dem Jahr 2000 und aus Hamburg. Es ist ein unaufdringlicher Text, der seinen besten Platz hat, wenn er nachts von wenigen im Vorbeigehen konsumiert wird. Der Einwand ist berechtigt, ob denn so einer kleinen Angelegenheit so viel Raum und eineinhalb Stunden Zeit gehören müssen, ob das Ganze nicht eher ein Hörspiel ist und das nun sehen zu sollen, der Sache den Witz raubt. Aber Caroline Ebner ist gut, nutzt alles sich ihr Bietende, den Zuschauer in den Bann zu ziehen, und rechtfertigt somit alles: "Wir sind der Generalstreik eurer Vernunft." Die Hände werden ein bisschen zittern beim nächsten Mal, wenn man nachts die Kiste andreht in gespannter Erwartung dessen, was der oder die da drin mit einem anstellen wird.

Willibald Spatz
8. Oktober 2004

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