Was für eine Sprache
Othello in den Münchner Kammerspielen

Theater entsteht und stirbt an Grundsätzen. Eigentlich niemand kann gefunden werden, der nicht ein paar Dinge weiß, die Theater muss und in keinem Fall darf. Und das bildet meist das Fundament einer jeden Aufführungskritik. Zum Beispiel: Klassiker sind in einer angemessenen Sprache darzubieten oder Theater kann gar nicht so tun, als ob das alles wirklich passiere.
Zufällig verstößt die Othello-Inszenierung in den Münchner Kammerspielen von Luk Perceval gegen beides. Die Übersetzung hat Feridum Zaimoglu vorgenommen; dieselbe starke Sprache, für die er in seinen Romanen bekannt ist, kommt auch hier vor. Alle Erwartungen bestätigend legt zuerst Wolfgang Pregler als Jago, lässig an den Bühnenrand gelehnt, los und spricht viele Sätze, in den von „Schwänzen“ und diese zu lecken die Rede ist. Die Bühne. Von Katrin Brack. Keine Kulisse. Nichts. Der Blick darf frei in die Tiefen des Theaters hinein, links, rechts, nach oben, nach hinten. Das einzige, auf das nicht verzichtet werden kann, ist ein schwarzer Flügel in der Bühnenmitte auf einem umgedrehten weißen. Ein Pianist sitzt daran, begleitet das Stück permanent und klingt ein wenig nach Keith Jarrett. Herrn Marthtaler würde das auch gefallen. Es sieht nicht so aus, als ob hier Theater stattfinden würde, höchstens eine Probe, aber auch das sieht man dann tatsächlich nicht, sondern Leute, die phantastisch natürlich hier ihr Leben ausbreiten, kein Gefühl dafür, dass sie beobachtet werden. Ein Triumph für den Zuschauer: Endlich einmal unbemerkt dabei sein zu dürfen, wie sie sich da plaudernd aus dem Hintergrund nach vorne arbeiten, zunächst unverständlich wie auf einer originalen Party auf Zypern; oder wie Thomas Thieme als Othello mit Julia Jentsch, seiner Desdemona, schäkert, das ist niemals für Zuschauer gemacht, das ist echt.
Der eigentliche Gewinn, der Zaimoglus Übersetzung in das Spiel bringt, ist eine Sprache, die es jedem Schauspieler möglich macht, seine Sätze zu sagen, ohne sich verkrampfen zu müssen. Wolfgang Pegler wird zu einem – mit Verlaub – Arschloch, wie man es sich nur vorstellen mag: Der Derbste unter den Gleichgestellten und der Schleimer mit schmierig ausgefeilten Worten seinem General Othello gegenüber. Der wiederum traut als echter Mannsoldat seinen eigenen Sätzen nur, wenn sie „Schwein“ oder „Idiot“ enthalten.
Luk Perceval gelingt es, dem Ganzen humoristische Höhepunkte zu schenken, die dem Publikum Augenblicke wahren Glücks bereiten. Gegen Ende wird es ernster, und wenn es dabei auch manchmal lang wird, so liegt es wahrscheinlich am Leben, denn da vergeht ja auch Zeit zwischen zwei Höhepunkten. Die kann man nutzen, um zum Beispiel über seine Grundsätze nachzudenken, ob es sie überhaupt braucht. Überzeugen lassen sich sowieso nie alle.

Willibald Spatz
16. Dezember 2003

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