Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia
von Botho Strauß
Augsburg Stadttheater, Inszenierung: Holger Schultze
Premiere: 12. April 2003, besuchte Vorstellung: 24 Mai 2003

Eine brave Idee: Der Blick herum in einer Hotellounge zeigt viele Personen und lässt teilhaben an deren Geschichten kürzer oder länger, jedem selbst überlassen, wie sehr einen das Ende interessiert, das man zwar nicht sieht, aber sich ausdenken kann, zum Beispiel: Ein Mann lässt seine Frau allein, sie könne ihn ja anrufen, kaum draußen ist der nächste da im Morgenmantel mit Buch, schaut ihr anständig über die Schulter in die Zeitschrift und unterhält sich ton-, nicht wortlos, während der Rezeptionist telefoniert: einer will kommen, soll aber nicht usw. So funktioniert’s auch, indem die Masse sich bewegt zu Fahrstuhlmusik und wenn das Licht angeht über einer Gruppe, dürfen die reden und die anderen müssen still stehen, außer sie machen noch drei Schritte im Dunkeln, um ihre Position zu erreichen.
Schön wäre das, wenn es so weiterginge, vielleicht eine Stunde und dann heim, aber es muss doch eine Handlung her: Der Verleger Zacharias Werner, der schon am Anfang, in der ersten Szene, negativ aufgefallen ist, indem er die Lesung von Sylvia Kessel aus ihrem neuen Roman unterbrochen hat und das aus dem Publikum, will das Buch, ihr zweites, um jeden Preis veröffentlichen. Er tut alles, er schläft sogar mir einem angehenden Model, das er auf den ersten Eindruck vorauswählen sollte, er macht Geschäfte mit einem großen korrupten Verleger, alles für die gute Sache, das Ideal. Klar, dass sich Sylvia in ihn ein bisschen verliebt, so dass sie ihm nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihren Körper anbietet. Den braucht er nicht, solange nicht auch das dritte Buch draußen ist: Ihre Geschichte aus ihrer Sicht. Offenes Ende.
Dazwischen ein altes Ehepaar mit Koffer, eindeutig Philemon und Baucis, weil er für sie immer wiederholen muss, dass er nicht mehr ohne sie könne, ein selbsternannter Liftboy, zwei Handzettelverteiler namens Alfredo und Vittorio, die Spaß machen. Es läuft so gut, drei Stunden so schnell vorbei, bis wieder Dialoge anstehen zwischen Sylvia und Zacharias, denen einer vergessen hat zu sagen, dass sie keine so großen Gesten machen müssen, denn im beschämend halbvollen Haus sitzt jeder so weit vorne, dass er sie gut sieht.
Warum entlässt der Schlussapplaus den Zuschauer mit einem guten Gefühl? Das Bühnenbild? Beeindruckend, viele Türen von allen Seiten, hinten oben sieht man raus, wenn Figuren Auftritte ankündigen oder Dinge machen, die man unten nicht sehen soll. Aber das kann nicht alles ein. Ich meine, es ist die Lust am machen wollen, die Herausforderung anzunehmen, ein nicht leichtes, langes Stück umzusetzen. Bei der zweiten vollbesetzten Szene in der Lounge dürfen sich alle bewegen, auch wenn das Licht nicht auf sie fällt und das ist anders als am Anfang, erfrischend anders. Gute Idee.
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Willibald Spatz

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