Krieg = schlecht
Mutter Courage und ihre Kinder im Münchner Residenztheater

Die Quotenkönige schmeißen sich an Mutter Courage, obwohl es noch Klassiker und moderne Komödien genug gäbe, um das Residenztheater jahrelang zu füllen. Was ist da los? Ankunft im 21. Jahrhundert? Plötzlich politisch sein wollen?
Es geht um eine Frau, die im Dreißigjährigen Krieg drei Kinder verliert und weitermacht, weil Aufgeben nicht hilft. Der Mensch darf das aber nicht begreifen und den Saal verlassen, sondern muss drei Stunden sitzen bleiben. Wer soll da nicht maulen, wenn er dauernd kapieren muss, was er lang schon weiß?
Bert Brecht aus Augsburg reiht Szenen aneinander, durch Lieder ergänzt, die nicht gegen Ende gemeinsam einen dramatischen Gipfel erreichen, sondern eher so ausfransen. Absichtlich. Episches Theater usw.
Zum Glück aller Beteiligter vor und auf der Bühne rebelliert Herr Langhoff hier gegen sein zu bearbeitendes Stück und serviert grillfrisch ein Ende, das einem zu Magen geht: Im Winter des sechzehnten Kriegsjahres kommt Mutter Courage mit Koch, Kattrin und Kübelwagen an. Kübelwagen, weil das Stück verlagert wurde aus dem Dreißigjährigen Krieg in jeden beliebigen Krieg von 30 Jahren der Neuzeit. Zwei Monitore links und rechts zeigen jeweils das Kriegsjahr an und lassen einen sich fragen, ob man das überlesen hat, dass jemand einen Preis für den bescheuertsten Regieeinfall in Deutschland 2004 ausgelobt hat.
Die beiden Alten jedenfalls neben dem Wagen singen das Lied vom weisen Salomon und Kattrin, die Tochter, schleicht sich weg, leise, weil sie nicht mehr gewollt wird. Da wird es wirklich dunkel und kalt, wenn die Mutter um ihr letztes Kind durch den Schnee rennt. Und es geht weiter unter die Haut. Ein – zugegeben etwas albernes – Metallgestänge schwebt von der Decke, damit Kattrin darauf steigt und mit Schraubenschlüsseln Lärm schlägt. Die Stadt und die Mutter in ihr warnen vor der heimlichen Invasion. Da ist man ganz bei ihr, auch wenn die schöne Szene dadurch enden muss, dass den hochschießenden Soldaten ein Kattrin-Dummy entgegenfällt. Überhaupt ist Lisa Wagner in der Rolle der stummen Unberührten die Gefühlsgräfin der Veranstaltung. Fünf Jahre früher, noch vor der Pause, hat sie den einäugigen Spitzel gesehen und kann ihren Bruder Schweizerkas nicht abhalten, die Regimentskasse verstecken zu wollen, und niemand ist da, der sie versteht, und die Mutter ist einkaufen und kann nicht helfen, und dieser Schmerz wirft sie zu Boden und krümmt sie, während der Bruder nach hinten ins Verderben abgeht.
Mutter Courage ist ein Starstück. Der Star hier ist Cornelia Froboess, und man soll schon sagen, dass das, was sie mit ihren unmittelbaren Partnern, Nikolaus Paryla als Feldprediger, der Holz  macht und sie dabei an, und Gerd Anthoff als der Koch mit Pfeife, abliefert, schöne Duette sind. Aber der Blick, den sie auf den toten Schweizerkas wirft, berührt sie so wenig wie den Zuschauer. Der dagegen scheint sehr wichtig, der Blick auf ihn, besonders kurz vor Pause beim Lied von der großen Kapitulation. Sie schön vorne, leuchtet, das Szenario verschwindet in Nebel und Dunkelheit, und das Publikum denkt sich angeschaut: „Wir sind schon noch da und bewundern Sie, Frau Froboess.“ Wenn das im Sinne Brechts sein soll, dass die Schauspieler so neben sich stehen, wieso schluckt man ihn dann, indem man das Ganze so großartig bebildert? Oder umgekehrt: Wieso sieht man nicht ein, dass die Figuren Brechts, wenn man sie ernst nimmt und sie mit dem unerlaubten Pathos füllt, auch leben können und das Stück nicht mehr nur ein Phrasengedresche für den Frieden ist?
Der Mensch verlässt das Residenztheater diesmal nicht wie sonst so oft mit einer Stinkewut im Bauch, weil ihm da gerade ein schönes Stück kaputtgespielt wurde. Das ist schon in Ordnung so. Man stößt danach an auf seine Einigkeit, dass man Krieg irgendwie nicht so toll findet. Hat man jetzt deswegen die Mutter Courage bemühen müssen?
 

Willibald Spatz
2. März 2004

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