Obacht Mitmensch!
Lantana (Speaking in Tongues) im Thalia Theater, Hamburg

Lantana heißt das Wandelröschen, eine giftige Pflanze, deren Blüten ständig die Farbe wechseln und die besondere Gerüche verstreut. Die Wurzeln bilden in Australien an manchen Orten einen undurchdringbaren Dschungel aus Dornen.
Drei Teile gibt es in Andrew Bovells Theaterstück „Lantana (Speaking in tongues)". Im ersten zwei Ehepaare auf dem Weg in den Seitensprung, Partnertausch, jeweils ohne voneinander zu wissen, von der Treue des Partners überzeugt. Sieht auf der holzgetäfelten Bühne von Katja Hass unter der Regie von Stephan Kimmig gewitzt brav aus. Schönes paralleles Nebeneinander, ein bisschen Beziehung, ein bisschen Schmunzeln.
Im zweiten Teil Löcher in der Holzwand. Während des Umbaus haben sich die Lampen von der Decke in den Boden gebohrt. Es regnet auf Plastikplanen und in Kübel. Ein Mann, Harald Baumgartner, liegt zitternd auf einem Tisch und schreibt Briefe an seine ehemalige Geliebte Susanne Wolff, die wütend ihre Handtasche an die Wand schlägt. Ungemütlich ist es geworden und fesselnd. Der Atem darf stocken, wenn Anna Steffens ihrem Mann verzweifelt von einer Autopanne auf den Anrufbeantworter erzählt. Kurz ist der Auftritt von Andreas Döhler als Nick, der Mann, der sie mitnimmt ins Verschwinden. Er sagt nicht viel, doch ist schon viel über ihn gesagt. Alles parallel, keiner darf von der Bühne, jeder muss verstören.
Im letzten Teil sitzt Jörg Pose als John, gespenstisch angestrahlt auf der Bühne. Er wurde angerufen von seiner Frau nach einer Autopanne. Nun ist sie weg. Er wird verhört von Leon, dem Polizisten, von Markus John gespielt, den man aus dem ersten Teil als Fremdgänger kennt. Die bis dahin unverknüpften Enden der neun Figuren werden hier verbunden. Sie dürfen zum Teil hinter der nun fast offenen Bühne zur Befremdung gehen oder im mit Wasser gefüllten, geöffneten Boden.
Der australische Drehbuchautor und Dramatiker Andrew Bovell, hier bekannt vor allem durch sein Drehbuch zu „Strictly Ballroom“, hat sein Beziehungsgestrüpp „Speaking in Tongues“ 1996 in Sydney uraufgeführt. 2001 verfilmte Ray Lawrence den Stoff und gab Bovell so Anlass, auch noch mal über die Bühnenfassung nachzudenken. Diese Version ereichte schließlich im Oktober 2003 das Thalia Theater zu seiner deutschen Erstaufführung.
Stephan Kimmig gelingt es, über das Stück einen Spannungsbogen wachsen zu lassen, der einen hineinzieht und auch verunsichert. Kann man diesen Personen und ihrem Spiel trauen? Ist die oder der nächste, die oder der neben einem auftaucht, die nächste im Bett oder der, der einen in den Tod fährt? So harmlos, wie's hier im Theater beginnt, so kalt kann's auch enden, aber wer würde das einem schönen Abend schon verübeln?

Willibald Spatz
3. Januar 2004

mehr Kritiken