Ruine der Traurigkeit
FÜNF GOLDRINGE in den Kammerspielen

Es ist erneut ein Weihnachtsabend, der als Akkumulationspunkt der Emotionen dienen muss. Vater erwartet zwei Söhne und deren Frauen zum Fest. Die bringen Probleme mit, die ebenso erwart- wie austauschbar sind: Der Vater soll mit in die Stadt ziehen, der eine Sohn Simon hat sich sterilisieren lassen, obwohl sich seine Frau Miranda nichts mehr wünscht als ein Kind, der andere Sohn liebt seine Frau nicht mehr und so weiter. Die Konflikte werden bei einem Monopolyspiel aufs Feld gebracht. Das Spiel ist ein Jahr alt und liegengeblieben, nur der Vater hat seinen Zug gemacht, kurz vor der Besuch eintraf - er war eh dran. Das Brett ist im Boden versenkt und obwohl die Worte, die darum gekauert gesprochen werden, deutlich sind, eskaliert nichts an der Situation, denn es ist doch nur ein Spiel und darin auch das tiefe Bedauern, dass alles andere, das Leben drum rum, eben nicht nur ein solches ist. Joanna Laurens' Stück ist eine Ballade über die Hoffnungen, die Menschen immer wieder in andere stecken, trotzdem sie ständig nur enttäuscht werden. Den Vater Henry hat seine Frau mit den beiden Kindern sitzen lassen vor langer Zeit und dennoch leckt er gierig an den Briefen, die allein sie ihm von sich gelassen hat, saugt die Tinte aus dem Papier. Daniel nennt ihn "Vater mein" wie einen himmlischen Erzeuger, bei dem alle an ihn gerichteten Gebete auch sinnlos verhallen könnten. Er bittet um Geld für einen Spezialisten, der ihn unten rum wieder fit machen würde, hat aber eigentlich vor, mit Miranda, der "Liebe meine", durchzubrennen.
Es ist zum Heulen schön anzusehen, wie Matthias Bundschuhs Daniel, Impotenz simulierend, die Anstürme seiner Frau Freya abwehrt. Jedes Mal, wenn sie seine Weste und Hose geöffnet und sich an ihn gehängt hat, trägt er sie an die Wand, heftet sie dort fest. Und in ihrer Verzweiflung gewinnt er immer weniger Raum, bis sie ihn von Neuem bedrängt. Oder wie Henry, von Walter Hess gespielt, inmitten des zerschlissenen, von Maria-Alice Bahra wie eine Gummizellereminiszenz hergerichteten Zimmers steht und über ihn Bilder einer heilen Vergangenheit projiziert werden. Die Vorlage ist schlicht und dennoch sehr effektvoll in Szene gesetzt. Doch dann mischt das elende Ende, die Suche nach dem Hinaus aus der Geschichte, einen hässlich bitteren Beigeschmack in den ansonsten brillanten Theatercocktail: Die Allefamilienproblemeaufeinemfesthochkomm-Situation ist vollständig und besser schon in DAS FEST oder bei Jonathan Frantzen verhandelt. Die Menge Luft, die dem Stück gegen Ende ausgeht, kann ihm selbst die Regisseurin Christiane Pohle nicht mehr einhauchen. Am Besten wäre es gewesen abzubrechen, wenn Miranda Karin Pfammatter, schwanger nun von Daniel, jenen zurückweist mit den Worten: "Du bist in mir, und ich begehre dich nun nicht mehr." Das wäre stehen geblieben als ein Monument der Traurigkeit. So aber wird die letzte halbe Stunde nur erklärt - und damit der Abend ruiniert -, warum das so schwierig unter den Menschen ist, warum sie nicht mehr zueinander kommen können, und dazu braucht es diverse Geschichten über fehlende Mutterliebe und Missbräuche, die letztlich aus einer Parabel über die Liebesunfähigkeit in der Welt ein kleines, immer weniger interessierendes Familienmelodrama

Willibald Spatz
7. Oktober 2004

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