Lästige Fortpflanzungsangelegenheiten

„Die Probe (Der brave Simon Korach)“ von Lukas Bärfuss in den Münchner Kammerspielen

Regie: Lars-Ole Walburg

 

Die Sexualität ist eine sehr zweiseitige Angelegenheit. Einerseits macht sie das Leben komplizierter, als es sein könnte: Wenn man sich zum Beispiel zwecks Fortpflanzung abends allein in ein Bett legen und am morgen zu zweit aufstehen könnte, wäre das praktisch. Andrerseits biete die Auseinandersetzung mit der Geschlechtlichkeit neben anderen Vorzügen auch oft die Grundlage für spannende Theaterstücke. Lukas Bärfuss hat für die Münchner Kammerspiele „Die Probe“ geschrieben. Es geht um einen Mann, der heimlich einen Gen-Vaterschafts-Test machen lässt und dabei erfährt, dass er nicht der Vater seines Sohns ist. Damit hat Lukas Bärfuss den Stoff aller Stoffe im Moment gefunden: ein Thema, das die Menschheit beschäftigt, seit es sie gibt und das jetzt mit DNA-Tests und einem Gesetz samt anschließender Debatte neulich aktuell ist wie lange nichts mehr.

Der brave Simon Korach“, der dem Stück den Untertitel gibt, ist nicht der Mann, der sich lange für eine Vater hielt und nun keiner ist, sondern dessen Vater, zu dem er nun geht nach der größten Niederlage, die er sich vorstellen kann, um sich auszuheulen und das andere Geschlecht zu verfluchen. Hans Kremer ist dieser Simon Korach. Er steht aufrecht in der Mitte der runden, drehbaren Bühne, umgeben von Sofas, einem Herd und einem Kühlschrank, in einem Fußbad: ganz Herr in Würde bis zum Knöchel und darunter lächerlich zum Umfallen. Er rät seinem Sohn – Oliver Mallison spielt ihn wunderbar als einen, der noch viel Männlichkeit ausstrahlt, sich selbst aber bereits abgeschrieben hat und leidenschaftlich verfallen lässt –, sich zusammenzureißen. Dem Vater geht es im Moment um was anderes: Er will gewählt werden, einen Widersacher, der ihn drei Mal in Folge geschlagen hat, endlich besiegen. Hier ist bereits die erste Falle, in die das Unternehmen fahren könnte, indem es den einen ausstellt als einen bösen, dem nur die materiellen Werte was wert sind, während der andere durch seinen Glauben ans Innere nun betrogen ist. Aber Lukas Bärfuss’ Text ist schlau und gibt seinen Figuren immer mindestens noch eine Chance, in einem ganz anderen Licht dazustehen. Katharina Lorenz, die Agnes, die böse Frau, die vor Jahren betrunken betrogen hat und das Unglück ins Rollen brachte, tritt laut auf mit Kapuzenjacke und kurzem Rock, man traut ihr alles Schlimme zu, sie steigt zum Schwiegervater ins Fußbad, doch dann fordert sie schlicht ihren Mann zurück, weil sie ihn liebe, und diese Liebe ist ihr so viel wert, dass sie sie hinausschreit. Man kann ihr immer noch nicht glauben, aber man will es.

Im Haus eingenistet hat sich Franzeck, Korachs Wahlberater, der sich eigentlich an die Sohnstelle schleimen will, ein schmieriges Würstchen. Bei Stefan Merki wird auch er zu einem Mensch, den man verstehen kann, der einem im Grunde auch nicht unsympathisch ist. Ständig sucht er die Mitte der Bühne, um sich zu erklären, verzweifelt für sich Verantwortung zu reklamieren, die man ihm verweigert, weil er einmal gesoffen und dann ein Mädchen umgefahren hat. Jetzt will er alles gut machen, nur keiner will ihm dazu Gelegenheit schenken. Am wenigsten die Mutter der Familie, Gundi Ellert, die mittlerweile die meiste Zeit in Indien wohnt und nun zur Krisenintervention eingeflogen wird. Jetzt ist ihr dieser Zirkus vor allem zu blöd, dann, als er eskaliert, merkt sie, dass sie der Lage in ihrer eigenen Familie nicht mehr gewachsen ist und wird zur traurigen Gestalt, die meistens am Boden liegen oder sitzen muss, weil sie nicht mehr auf die Füße kommt nach all den Jahren im verlogenen Glück.

Man hat Lars-Ole Walburg inszenieren lassen. Der hat in den Kammerspielen bewiesen, dass er alles gut kann: Eine spartanische „Antigone“, einen lustigen „Hamlet“, einen noch lustigeren „Kirschgarten“ und jetzt eben mit einem guten Ensemble einem guten Text zur Uraufführung verhelfen. Da wurde nicht viel rumgemacht, da konnte nicht viel schief gehen und auch nichts verstören oder provozieren. Da waren am Ende alle sehr zufrieden, eigentlich zu zufrieden für ein Stück, das es in sich hätte, einem richtig weh zu tun, weil es so offen ist und damit dem echten Menschen heutzutage und seinem Problem mit der Sexualität so viel Reibefläche böte.

Willibald Spatz

 

Mehr Kritiken