Der gelbe Wahn
Der jüngste Tagim Residenztheater


Wer ist jetzt die Böse? Die, die den Stationsvorstand küsst, wo er Signale stellen soll, so dass 18 hin sind? Oder die, die ihren Mann verrät, ihn lieber im Gefängnis als an ihrer Seite sieht? Oder die Zweimoralige, die mal zum Mann, mal zur Frau hilft, wie's gerade passt? Oder Vorschlag zur Güte: Wenn so viel Schuld verladen wird, ob am Ende keine mehr oder die ganze Menschheit, also alle gleich, verantwortlich sind?
Ödön von Horvaths Der jüngste Tag hat viele Ansätze, was zu sein: Ein Einzelner gegen die Welt, die gegen ihn schafft, wo's geht, ihm die Frau ausreden will, ihn einsperrt und wieder rauslässt, aber dafür allein mit dem Gewissen. Viel für einen Einzelnen, wenn der Michael von Au ist. So ein kleiner Stationsvorstand, der sein Leben lang ein Beamter war, Fahrkarten verkaufen, Koffer tragen und - ganz wichtig - Signale geben, der wird jetzt auf einmal mit großen Gefühlen konfrontiert, zunächst Liebe in Form der Wirtstochter Anna, dann Schuld, 18 Menschen mehr oder weniger seinetwegen ruhelose Geister und dann noch mehr Schuld, als er selbst zum Mörder mit Händen wird, ja, da kann man schon mal überfordert sein.
Robert Joseph Bartl ist ein Kosmetikvertreter in einer gelben Wirtschaft und gehört mitsamt der Zünftigkeit, die er einschleppt wie die Pest, hinausgeschmissen, aber er geht selber und wenn Thomas Hudetz, der Vorstand, dessen Schicksal verhandelt wird, auch keine Antwort auf die Frage von den Geistern bekommt, ob es denn einen gebe, danken würde man Gott dafür und auch dafür, wenn die Inszenierung irgendwann mal eine Richtung bekäme, in die man schauen könnte, um die 100 Minuten rumzubringen.
Da ist ein Stück von Horvath in eine gelbe Bühne gestellt und abgespielt, ohne dass man das Gefühl hat, irgendjemand, der für das verantwortlich ist, was da zu sehen ist, habe sich auch nur eine Sekunde einen Gedanken gemacht, warum er das so vorführen will mit blauen Gespenstern, Schienen auf der Bühne, Zug aber vom Tonband und Wirtshausstühlen, die man an passender Stelle putzen lassen kann. Was für Bilder.
Man will ja nicht dauernd maulen, weil das Theater in Deutschland eh schon so intellektuell ist, aber ein bisschen was denken darf man schon, das will man ja als Zuschauer auch und nicht nur, was das wieder gewesen sein soll.

Willibald Spatz
8. März 2004

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