Ein Herz fürs Bier
Netzer / Overath

München als Stadt rühmt sich der besten bayerischen Biere Deutschlands. Doch die nutzen gar nichts, wenn der Mund zu ihnen nicht kommen kann. In einem irrwitzigen Experiment wurde vor nicht allzu langer Zeit der höchste Garant für das nackte Leben in dieser Stadt probeweise aufgehoben, die Sperrstunde abgeschafft. Das heißt, die Wirte müssen ihre vollbesetzten Häuser nun nicht mehr am Wochenende um drei Uhr leer räumen, sondern machen dies in der Regel freiwillig. Mehr Geschäft an einem Abend korrumpiert offenbar die Seele, und die ist oft das Einzige, was der Mensch in den Ruhestand mitnehmen kann. Der Gast auf der Straße hat zu dieser Zeit oft aber im Vergleich zu seiner Vernunft den größten Durst.
Jetzt Netzer. Dahin, in die Nähe des Gärtnerplatzes, darf man kommen. Es ist verbunden mit dem Café Overath. Ein Kicker steht im Zentrum beider Lokalitäten und bildet den siamesisch Vereinten ihr Herz. Im Overath kann man sitzen im Hellen und redend zu Luft kommen. Im Netzer nebenan dann ist es düster verhangen, und es geht ums Bier. Das wird zu braven Preisen an die gemischte Jugend abgegeben. Sie hört dazu DJ-Rockmusik, für die man das independent Radio ein bisschen lauter drehen würde daheim oder die so alt und lange nicht mehr gehört ist, dass man sie für einen Traum von damals gehalten hätte, würde er nicht akustisch wahr in dieser Nacht. Das Publikum steht in der Völle des Raums und gehört zu jenen, die es lieben, unkompliziert auszugehen, die dazu nicht hübscher als sonst sein wollen. Wahre Schönheit am Kicker, dem Herzen. Manchmal braucht es das zum Bier.
Baaderstr. 33

Willibald Spatz
12. Februar 2005

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