Die verdiente Ruhe
Familie und modernes Leben

Jeder, der es schon mal mitgemacht hat, weiß, wie fundamental ein Kind, neugeboren, in ein Erzeugerleben eingreift. Trotz seiner Winzigkeit kehrt es radikal die Vorzeichen um, und das ist in Ordnung, schließlich ist es das erste, was man wirklich selbst geschaffen hat ohne Zuhilfenahme von Werkzeugen und Mitteln zum Zweck. Daneben ist es die Erfüllung des darwinistischen Auftrags und der Rolle als Vektor seiner Gene. Denn nicht mehr als das sei der Mensch - alles, auf was der Begriff Lebewesen anwendbar ist -, wird stellenweise behauptet von Wissenschaftlern, die es angeblich wissen, und nicht mehr als die Fortpflanzung sei der eigentlich Sinn dieses Daseins.
Jedem Unbeteiligten erscheint dagegen der Wandel im Verhalten junger Eltern eher unzumutbar, für sie selbst, da sie jetzt nachts fünf Mal rausmüssen und immer wickeln, wenn es stinkt und füttern, wenn es schreit. Und albern wirkt es auf die anderen, die Bekannten, denen diese Hysterie und "alles dreht sich jetzt nur noch ums Kleine" einfach unangemessen erscheint im Vergleich dazu, wie viele - um es schlicht mit Goethe zu sagen - Erdenschollen ein Kind wirklich nötig hätte, um zu einem normalen Erwachsenen hochzukommen. Am besten, man meidet diese Kinderpaare, lässt sie in Ruhe ihre Parallelgesellschaften aus Krabbelgruppen und Hausmännerrunden etablieren.
Ein neuer Grad der Zumutung ist erreicht, wenn das Kinderbekommen zu einer volkswirtschaftlichen Entscheidung stilisiert wird, der Verzicht auf Kinder mit dem auf Konsum auf eine Ebene gesetzt wird, man eine Verantwortung übernehmen soll wegen des Passes, mit dem man geboren wird, die über die Erfüllung der Wehr- oder Zivildienstpflicht hinausgeht. Manche scheuen sich in Diskussionen nicht, Horrorbilder in den Köpfen zu malen von einem Greisen-Deutschland, in dem jeder dem anderen den Krümel vom Teller stibitzt und sich um den letzten Enkel als Versorger prügelt. Das ist ein ganz neuer Aspekt, die jahrhundertealte Tradition des Kinderkriegens zur Diskussion an die Öffentlichkeit zu zerren.
Es mag in Ordnung sein, vom Glück der Reproduktion zu reden, das in die privaten Räume einkehrt und das man unmöglich an sich vorbeisausen lassen sollte, aber globale Dimensionen im schlafzimmerlichen Handeln muss man nicht im Auge haben. Das ist übertrieben.
Es ist wahr, dass die Zeit im einundzwanzigsten Jahrhundert irgendwie krank ist und daran einer schuld ist. Zum Beispiel die Regierung, weil sie keine Kinderinfrastruktur schafft, zum Beispiel der einzelne, weil er keine Nachkommen schafft und dafür ordentlich zahlen wird. Und selbstverständlich auch aus dem Genpool der nächsten Generation verschwunden ist.
Wenn Kirchen den Mund aufmachen und in intime Dinge reinreden wollen, werden sie zunächst laut ausgelacht und dann nach dem Recht gefragt, das sie dazu haben. Im allgemeinen Empfinden ist der Mangel irgendeiner Form von Heilmittel gegen die Probleme von Heute so groß, dass die Politik eindringen will in die Familien und ihr Zustandekommen und sich einwandfrei dazu berechtigt sieht. Aber da mag sich der Einzelne noch so sehr verändern müssen, bevor es die Gesellschaft kann, es gibt Lösungen für den Rentenkonflikt, die sollten einfach aus Diskretion ignoriert werden dürfen. Sonst ist es gleich wieder so albern wie mit Kindern.

Willibald Spatz
22. Januar 2005

mehr Kritiken